Urteil des BAG zur Überstundenvergütung

Neues Urteil des BAG zur Überstundenvergütung

Arbeitszeiterfassung

30. Mai 2022 – Beitrag von Hannes Schwessinger

Lange ersehnt: Das Bundesarbeitsgericht hat am 4. Mai 2022 dazu Stellung bezogen, inwieweit sich die vom Europäischen Gerichtshof begründete Pflicht zur Einführung eines Zeiterfassungssystems, auf die Darlegungs- und Beweislast eines Arbeitnehmers in einem Überstundenvergütungsprozess auswirkt.

I.     Hintergrund

Nach der sogenannten „COOO-Entscheidung“ des EuGH vom 14. Mai 2019 (Az. C-55/18), haben die Mitgliedstaaten der EU die Arbeitgeber zu verpflichten, ein objektives, verlässliches und zugängliches Arbeitszeiterfassungssystem einzuführen (diese Vorgabe wurde in Deutschland noch nicht umgesetzt).

Aufgrund dieser Entscheidung war in der Rechtsprechung bisher umstritten, ob dies die Darlegungs- und Beweislast des Arbeitnehmers in Überstundenvergütungsprozessen modifiziert.  Bisher hatte ein Arbeitnehmer zur Begründung seines Anspruchs darzulegen und zu beweisen,

  • dass er Überstunden geleistet hat oder sich auf Weisung des Arbeitgebers hierzu bereitgehalten hat und

  • diese ausdrücklich oder konkludent angeordnet, geduldet oder nachträglich vom Arbeitgeber gebilligt wurden.

 

II.      Die Entscheidung des BAG

In dem Fall, den das BAG zu entscheiden hatte, stritt ein Auslieferungsfahrer mit seinem vormaligen Arbeitgeber über die Abgeltung von Überstunden. Der Arbeitnehmer erfasste seine Arbeitszeit mittels eines Zeiterfassungssystems. Dabei wurden nur Beginn und Ende der Arbeitszeit, aber keine Pausenzeiten erfasst. Er machte geltend, er habe die gesamte aufgezeichnete Zeit gearbeitet. Pausen seien nicht möglich gewesen, da er ansonsten seine Aufträge nicht hätte abarbeiten können.

Die erste Instanz, das Arbeitsgericht Emden, urteilte: Wenn ein Arbeitgeber ein Zeiterfassungssystem eingeführt habe, könnte er mittels eines solchen von den Überstunden des Arbeitnehmers Kenntnis erlangen, was wiederum die vom Arbeitnehmer nachzuweisende positive Kenntnis des Arbeitgebers ersetzen würde.

Das Landesarbeitsgericht Niedersachsen hob das Urteil des Arbeitsgerichts Emden in der Berufung wieder auf und entschied, die Aussagen des EUGH zur Einführung eines Zeiterfassungssystems hätten keine Auswirkungen auf die Darlegungs- und Beweislast im Überstundenprozess

Das BAG schloss sich dieser Ansicht an. Zur Begründung führt es aus, die vom EuGH bestimmte Pflicht zur Einführung eines Zeiterfassungssystems diene lediglich dem Schutz der Sicherheit und der Gesundheit der Arbeitnehmer. Aufgrund des geltenden Subsidiaritätsprinzips sei die EU lediglich für die Regelung des Arbeitnehmerschutzes zuständig. Die Ordnung über die Vergütung von Arbeitnehmern unterliege jedoch der Regelungskompetenz der Mitgliedsstaaten. Die vom EuGH begründete Pflicht habe daher keinerlei Einfluss auf die Darlegungs- und Beweislast von Arbeitnehmern in Überstundenvergütungsprozessen.

 

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 4. Mai 2022 – 5 AZR 359/21