Kein Einwand “aufgedrängter Überstunden” bei nachlässiger Organisation?
LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 28. Juni 2017 – 15 Sa 66/17
9. Februar 2018 – Beitrag von
Überstunden sind einer der häufigsten Streitpunkte in Arbeitsverhältnissen. In vielen Unternehmen sind sie gang und gäbe. Streit entsteht aber in den meisten Fällen erst dann, wenn es um den Überstundenausgleich geht. Aufgrund der recht strengen Vorgaben des Bundesarbeitsgerichts zur Darlegung eines Anspruchs auf Überstundenabgeltung tragen die Arbeitnehmer in diesen Fällen meistens das größere Risiko. Dies hat kürzlich die 15. Kammer des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg dazu veranlasst, sich kritisch mit den Vorgaben des Bundesarbeitsgerichts zur Überstundenabgeltung auseinanderzusetzen.
Was ist der aktuelle Stand?
Über die vereinbarte Arbeitszeit hinaus geleistete Arbeit ist in der Regel entweder durch Freizeit auszugleichen oder zu vergüten. Ausnahmen bestehen nur, wenn nach den bestehenden Vereinbarungen für die zusätzliche Leistung keine Vergütung zu erwarten war, was regelmäßig angenommen wird, wenn die vertraglich vereinbarte Vergütung höher ist als die Beitragsbemessungsgrenze in der Rentenversicherung. Für eine erfolgreiche Überstundenklage ist es Sache des Arbeitnehmers, zunächst für jeden Tag im einzelnen aufzuzeigen, von wann bis wann er gearbeitet hat oder sich auf Anweisung zur Arbeit bereit gehalten hat. Dies allein begründet den Anspruch aber noch nicht. Um auszuschließen, dass dem Arbeitgeber Überstunden aufgedrängt werden, die er nicht verlangt hat, muss der Arbeitnehmer außerdem darlegen und beweisen, dass die Überstunden entweder angeordnet, zumindest aber gedultet oder gebilligt oder zur Erledigung der geschuldeten Arbeit erforderlich waren. Häufig scheitert die Durchsetzung des Abgeltungsanspruchs an dieser Hürde.
Gleichgültigkeit = Duldung von Überstunden?
Nach Ansicht des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg könne der Gedanke, dass der Arbeitgeber sich Überstunden nicht aufdrängen lassen müsse die sehr regide Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nicht rechtfertigen. Denn der Arbeitgeber sei “Herr im eigenen Betrieb”. Er könne daher Überstunden schon dadurch vermeiden, dass er die Arbeitnehmer nach der regulären Arbeitszeit nach Hause schicke. Unterläßt er dies, gäbe der Arbeitgeber damit zu erkennen, dass es ihm gleichgültig sei, ob die Mitarbeiter Überstunden leisten würden. In diesem Fall sei es aber auch konsequent, dem Arbeitgeber die Überstunden zuzurechnen, d.h. schon aus diesem Grund von einer Duldung auszugehen.
Letztendlich konnte die Frage für die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg aber offen bleiben. Denn es hat auch aus anderen Gründen eine Duldung angenommen. Insbesondere hatte der Arbeitgeber zugestanden, dass sämtliche Führungskräfte seines Betriebes regelmäßig Überstunden ohne zusätzliche Vergütung leisten würden. Dieser, vom Arbeitgeber eigentlich als Einwand gegen die Forderung beabsichtigte, Vortrag war für das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg mit entscheidend um von einer Duldung der Überstunden auszugehen.
Ob sich zukünftig auch bei anderen Arbeitsgerichten ähnlicher Widerspruch gegen die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts regen oder dieses sich mit den Einwänden des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg auseinandersetzen wird, bleibt abzuwarten.