Noch Anhörung oder schon Manipulation des Betriebsrates?
Arbeitsgericht Gießen, Urteil vom 18. Oktober 2017 – 6 Ca 127/17)
7. März 2018 – Beitrag von
Bei der Anhörung des Betriebsrats zur verhaltensbedingten Kündigung stellt sich für Arbeitgeber häufig die Frage, ob dem Betriebsrat neben den Kündigungsgründen auch weitere Pflichtverletzungen des Arbeitnehmers aus der Vergangenheit oder zusätzliche Informationen zur bisherigen Entwicklung des Arbeitsverhältnisses mitgeteilt werden dürfen oder sogar sollten. Dahinter steht häufig der Gedanke, dem Betriebsrat damit ein vollständigeres Gesamtbild von der Person des Arbeitnehmers und seinen Leistungen zu geben, damit er besser nachvollziehen kann, dass und warum eine Weiterbeschäftigung unzumutbar ist.
Mit dieser Frage hatte sich auch das Arbeitsgericht Gießen zu beschäftigen. Im entschiedenen Fall hatte der Arbeitgeber die Mitarbeitervertretung mit einem 3-seitigen Schreiben über eine beabsichtigte Kündigung informiert. Dies allein ist noch nicht ungewöhnlich. Die Besonderheit des Falles lag aber darin, dass die Erläuterungen zu den eigentlichen Kündigungsgründen nur eine halbe Seite des Anhörungsschreibens einnahmen. Auf den weiteren zweieinhalb Seiten wurden verschiedene angebliche Pflichtverletzungen des Arbeitsnehmers in der Vergangenheit behauptet, jedoch lediglich pauschal und schlagwortartig, ohne jegliche nachvollziehbare Begründung. Es war offensichtlich, dass diese Behauptungen die Kündigung nicht rechtfertigen konnten, sie aber erwähnt wurden, um dem Betriebsrat das Bild zu vermitteln, der betreffende Arbeitnehmer hätte sich schon mehrere Pflichtverletzungen zuschulden kommen lassen. Ist dies noch zulässig?
Schilderung der wesentlichen Umstände
Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts gilt zunächst: Bei der Betriebsratsanhörung muss der Arbeitgeber die tragenden Gründe und den zugrundeliegenden Sachverhalt so genau und umfassend beschreiben, dass der Betriebsrat in der Lage ist, die Stichhaltigkeit der Kündigungsgründe ohne zusätzliche eigene Nachforschungen zu prüfen und sich ein eigenes Bild zu machen. Dies muss nicht zwingend schriftlich erfolgen. Eine nur pauschale, schlagwort- oder stichwortartige Umschreibung der Kündigungsgründe oder die bloße Wertung eines Verhaltens ist jedoch nicht ausreichend. Ob mündlich oder schriftlich, die Gründe müssen so konkret wie möglich erläutert werden.
Verbot der Irreführung
Wird der Sachverhalt bewusst irreführend oder unvollständig geschildert, um die Kündigungsgründe möglichst überzeugend darzustellen oder sogar den Betriebsrat zu manipulieren, ist die Betriebsratsanhörung nicht ordnungsgemäß erfolgt und die Kündigung unwirksam. Dies gilt auch, wenn der Arbeitgeber dem Betriebsrat falsche Informationen aufgrund bloßer Vermutungen mitteilt, er es aber selbst durchaus für möglich hält, dass diese Vermutungen nicht der Wahrheit entsprechen.
Darlegungs- und Beweislast des Arbeitsgebers
Für die Richtigkeit und Vollständigkeit der Anhörung trägt der Arbeitgeber im späteren Kündigungsschutzverfahren die Darlegungs- und Beweislast. Er hat notfalls auch zu beweisen, dass er den Betriebsrat mit seinen Mitteilungen im Rahmen der Anhörung nicht bewusst in die Irre führen wollte. Gelingt ihm dies nicht, war die Anhörung des Betriebsrates nicht ordnungsgemäß mit der Konsequenz, dass die Kündigung schon deshalb unwirksam ist, selbst wenn die vorgebrachten Gründe die Kündigung rechtfertigen würden.
Hintergrund- und Zusatzinformationen
Hintergrundinformationen zur Vorgeschichte und zum bisherigen Verhalten des Arbeitnehmers muss der Arbeitgeber hingegen nicht unbedingt mitteilen, soweit sie nicht im unmittelbaren Zusammenhang mit den akuten Kündigungsgründen stehen. Grundsätzlich ist dies aber auch nicht unzulässig. Sollen im Anhörungsschreiben Hintergrundinformationen zur Kündigung gegeben werden, gilt für diese allerdings nichts anderes als für die Kündigungsgründe: Der Arbeitgeber muss den Sachverhalt zutreffend und umfassend schildern. Er darf sich nicht auf pauschale Behauptungen beschränken und die Informationen nicht irreführend schildern.
Beeinträchtigen Fehler bei den „Nebenschauplätzen“ die gesamte Betriebsratsanhörung?
Doch welche Konsequenzen hat es, wenn bei der Betriebsratsanhörung zwar die eigentlichen Kündigungsgründe völlig ordnungsgemäß geschildert werden, aber die Darstellung zusätzlicher, eigentlich nicht zwingend notwendiger weiterer Hintergrundinformationen irreführend, zu pauschal ist oder sonst nicht den Vorgaben an eine ordnungsgemäße Betriebsratsanhörung entspricht?
In dem entschiedenen Fall hat das Arbeitsgericht Gießen die Frage offengelassen, weil der Arbeitgeber die in der Anhörung behaupteten, größtenteils pauschalen und nur schlagwortartigen Schilderungen zur Entwicklung des Arbeitsverhältnisses und zum Verhalten des Arbeitnehmers in der Vergangenheit auch im Kündigungsschutzverfahren nicht näher konkretisieren konnte. In diesem Punkt hat das Gericht verkannt, dass es auf die Frage, ob der Arbeitgeber seine Behauptungen im Kündigungsschutzverfahren möglicherweise nachvollziehbarer schildern kann, nicht ankommt. Denn Fehler oder auch unwahre Behauptungen bei der Betriebsratsanhörung könnten durch den Vortrag des Arbeitgebers im Kündigungsschutzverfahren nicht geheilt werden. Mit dem Abschluss der Anhörung ist auch die Willensbildung des Betriebsrats abgeschlossen, sodass auch eine Richtigstellung oder Ergänzung im Kündigungsschutzverfahren nichts mehr an der bereits getroffenen Entscheidung des Betriebsrats ändern kann.
Das Arbeitsgericht Gießen hat aber dennoch zutreffend deutlich gemacht, dass die reine Aneinanderreihung pauschaler Behauptungen zu angeblichen Verfehlungen grundsätzlich zum Scheitern des Arbeitgebers im Kündigungsschutzprozess führen kann, wenn der Arbeitnehmer dadurch gegenüber dem Betriebsrat insgesamt schlecht und in einem falschen Licht dargestellt wird, um Einfluss auf die Entscheidung des Gremiums zu nehmen. Denn letztlich ist dies nicht mehr informatorisch, sondern manipulativ. Die Entscheidung bestätigt, dass die Schilderung unkonkreter Pflichtverletzungen und Spekulationen zur Umrahmung der Kündigungsgründe von den Gerichten als gezielte und unzulässige Beeinflussung des Betriebsrats angesehen werden kann:
„[…] Andernfalls würde aus Sicht der Kammer dem Missbrauch Tür und Tor geöffnet werden. Ein Arbeitgeber könnte in dem Anhörungsschreiben stets eine Vielzahl pauschaler, nicht beweisbarer und auch nicht konkretisierbarer Vorwürfe anbringen, um den Arbeitnehmer in ein schlechtes Licht zu rücken und müsste nicht fürchten, hierdurch die Anhörung unwirksam zu machen. Ein solcher „Freibrief“ würde Sinn und Zweck des Anhörungsverfahrens konterkarieren. […] (Urteil des Arbeitsgerichts Gießen vom 18. Oktober 2017 – Az.: 6 Ca 127/17)“
Fazit: Weniger ist manchmal mehr!
Das Urteil zeigt einmal mehr, wie wichtig die Formulierung der Betriebsratsanhörung ist und wie genau bedacht sein sollte, welche zusätzlichen Informationen dem Betriebsrat gegeben werden.
Unternehmen sollten darauf achten, den Sachverhalt auch hinsichtlich etwaiger vergangener Pflichtverletzungen, die zumindest mittelbar den Kündigungsentschluss mittragen sollen, im Vorfeld der Betriebsratsanhörung genau aufzuklären. Sollen dem Betriebsrat auch solche Zusatzinformationen mitgeteilt werden, empfiehlt es sich, in der Anhörung auch dazu möglichst genau vorzutragen und sich nicht auf bloße Vermutungen zu beschränken. Ist eine genaue Schilderung nicht möglich, kann es ggf. sinnvoller sein, dann besser völlig darauf zu verzichten. Denn anderenfalls kann daran die Wirksamkeit der gesamten Kündigung scheitern.
Für Arbeitnehmer und Führungskräfte bestätigt die Entscheidung, dass ein genauer Blick in die Begründung der Kündigung gegenüber dem Betriebsrat möglicherweise den entscheidenden Hinweis für die Argumentation im Kündigungsschutzprozess geben kann.